Zum 40. Schneider Electric Marathon de Paris (kurz Paris Marathon) hatte ich mich schon kurz nach meinem ersten absolvierten Marathon angemeldet. Eigentlich geschah es aus einer Laune heraus, als ich entdeckt hatte, dass einige Freunde starten wollten. Als ich dann 2015 immer mehr Wettkämpfe lief, stieg meine Erwartungshaltung immer weiter und plötzlich war der Saisonauftakt 2016 in Paris, dem größten europäischen Marathon, ein zentrales Element… und dann lief einiges schief.
Marathon-Start mit Hindernissen
Über 20 Wochen hatte ich in die Vorbereitung für den Marathon in Paris gesteckt. Seit Jahresbeginn waren alleine 1.000 Laufkilometer zusammengekommen, indem ich 4-6x die Woche Laufen gegangen war. Dann vor acht Wochen die Reaktion des Körpers: Schienbeinkantensyndrom (auch bekannt als Shin Splints), die klassische Kinderkrankheit der Läufer. Bei jedem Lauf begannen die Schmerzen ab dem zweiten Kilometer, dann tat jeder Schritt weh. F**K!
Also habe ich alles probiert, was Lehrbücher vorschlagen: Trainingsumfänge reduziert, auf Dämpfungsschuhe umgestellt, 2-3x am Tag Eisbehandlungen ertragen, Selbstmassagen mit der Faszienrolle und nichtsteroidale Antirheumatika (Entzündungshemmer) eingeworfen. Aber nichts half dauerhaft.
Linderung gab es erst in letzter Minute und durch einen Tipp der Ärztin bei der Leistungsdiagnostik. Die empfahl mir Wobenzym Plus, das ich bisher immer kritisch beäugt hatte. Aber was probiert man nicht alles aus, wenn man eine Chance sieht seinen Marathonstart noch zu retten?
Meiner Skepsis zum Trotz trat – bei hoher Dosierung – binnen kürzester Zeit Besserung ein. Genau am Marathontag war ich quasi beschwerdefrei! Durch den reduzierten Trainingsumfang fehlten mir aber drei lange Läufe, und meine Laufgruppe hatte ich gefühlt auch schon ewig nicht mehr gesehen.
Paris
Freitag
Inzwischen habe ich schon ein wenig Routine beim Packen und so hatte ich meinen Wettkampf-Koffer innerhalb einer halben Stunde gepackt, auch dank meiner eigenen Checkliste, die mittlerweile mehrfach wettkampferprobt ist. So saß ich erstaunlich ruhig am Freitagabend am Flughafen mit einem alkoholfreien Weizen und dem Wissen alles Notwendige im Gepäck zu haben und wartete auf den verspäteten Flieger, während ich in meine Beine reinhorchte (denn noch hatten die Medikamente nicht komplett angeschlagen).
Zwei Stunden später landete ich in Orly – statt wie bei meinen bisherigen Parisaufenthalten in Charles-de-Gaulle. Eigentlich kein Problem, wenn mein Smartphone funktioniert hätte; aber es wollte sich partout nicht ins Netz einbuchen. Wer mich kennt, der weiß, dass ich permanent vernetzt bin, und ich gebe zu, ich war etwas aufgeschmissen, als ich in einem Land, dessen Sprache ich nicht beherrschte, ganz analog herausfinden musste, wie ich nun mein Apartment erreichen sollte. Hilfe kam recht überraschend und ausgerechnet von zwei Deutschen, die offensichtlich Erbarmen hatten und die Stadt schon von bisherigen Besuchen kannten. Minuten später hatte ich drei Kartenausschnitte abfotografiert und war wirklich erleichtert.
Von meiner Unterkunft war ich bei der Ankunft völlig begeistert. Keine fünf Minuten von Sacré-Cœur entfernt, im Herzen von Montmartre und umgeben von wundervollen kleinen Restaurants, hatte ich ein wunderschönes Apartment bekommen, das ich drei Wochen vorher per airbnb als echtes Schnäppchen gebucht hatte (wenn ihr airbnb noch nicht ausprobiert habt, dann bekommt ihr hier für eure erste Buchung 31€ Reiseguthaben geschenkt).
Kaum hatte ich meine Koffer abgelegt, meldete sich auch schon mein knurrender Magen. Dabei hatte ich schon mehr als reichlich zu Mittag gegessen. Geht es euch eigentlich auch so, dass ihr ständig essen könntet, wenn ihr in der Wettkampfvorbereitung seid?
Ein kurzer Blick in Yelp und schon hatte ich fünf großartige Restaurants mit überragenden Bewertungen im Umkreis von nur 100 Metern entdeckt. Ein bisschen neidisch war ich dann doch; ich liebe Hamburg, aber kulinarisch könnten wir hier noch etwas lernen. Ich entschied mich – auch weil nur dort ein Tisch kurzfristig frei war – für das Le Vache et le Cuisinier, ein kleines Restaurant mit fast familiärem Charme, dessen Einrichtung von einem zentral aufgehängtem Kino-Plakat von La Vache et le prisonnier (Ich und die Kuh) dominiert wurde. Da kam sogar fast ein wenig Wehmut auf; in meiner Kindheit hatte ich die alten Don-Camillo-Filme mit Fernandel geliebt.
Die Geschichte des restlichen Abends ist schnell erzählt: Signature Dish auf der Karte war ein Rippenstück vom Rind von gigantischen Ausmaßen mit kleiner Dekoration und Sauce Béarnaise. Wer kann da schon widerstehen. Alkoholfreies Bier war – in einem guten französischen Restaurant – natürlich undenkbar und auch gar nicht verfügbar. Somit gab es also Unmengen an Protein und (in Maßen) Wein zum Abendessen. Klassischen Carbo-Loading sieht anders aus.
Im Apartment bin ich quasi sofort ins Land der Träume geglitten und habe wie ein Stein geschlafen. Die vorletzte Nacht vor dem Marathon ist bekanntlich die erholsamste.
Samstag
Ein gutes Zeichen schon vor dem Frühstück. Meine Beine fühlten sich schon deutlich besser an, bis auf ein kleines Zwicken an der Schienbeinkante. Ich hätte Lust auf einen kleinen Luftsprung gehabt! Stattdessen entschied ich mich dafür, die berüchtigten Treppen zu Sacré-Cœur zu nehmen und – nach einem Blick über Paris – weiter in ein malerisches kleines Café zu ziehen.
Dort gab es dann ein Klischee-Frühstück mit Café au lait und einem winzigen Baguette, dessen rustikale Wurzel-Optik möglichst laut „Hallo-ich-bin-selbstgemacht“ schreien wollte.
Ein kurzer Blick in die sozialen Medien verriet, dass die anderen Läufer gerade ihre Shake-out-Runs absolvierten. Mein schlechtes Gewissen hielt sich in Grenzen.
Mit großen Umwegen, schließlich wollte ich etwas von der Stadt sehen, ging es anschließend zur Expo. Die Marathon-Messe fand auch dieses Jahr wieder traditionell in den Messehallen statt, nur wenige Kilometer südlich des Eiffelturms. Wer übrigens nicht laufen will, der nimmt die Metro Linie 8 oder 12 bis zur Station „Porte de Versailles“.
Zum ersten Mal spürte man hier ein wenig von der Terror-Angst der Pariser, als man an den zahlreichen Polizisten mit MPs vorbeilief und der Zugang zur Messe erst nach Kontrolle per Metalldetektor möglich war.
Die Messe selbst war gut organisiert, selten musste ich bei der Ausgabe der Starternummern und -beutel so kurz anstehen. Direkt hinter dem Eingang warten zahlreiche Mitarbeiter auf die Läufer, um die ärztliche Bescheinigung (ein medizinisches Zeugnis zur Marathontauglichkeit, das maximal 12 Monate alt sein darf), den Personalausweis und die Anmeldeunterlagen zu überprüfen. Binnen 45 Sekunden hatte ich einen Stempel auf meiner Anmeldebestätigung erhalten und konnte mir nur 15 Meter weiter an einem anderen Schalter meine Startnummer abholen. Noch einmal einige Meter weiter erhielt ich an einer Schleuse, die den Zugang zu eigentlichen Messe markierte, meinen Starterbeutel.
Insgesamt hatte das Ganze kaum vier Minuten gedauert, da es keinen besonderen Andrang gab und man nicht extra für die Unterlagen über die Messe laufen musste, sondern erst nach Erhalt der Unterlagen auf die Expo geschleust wurde, wo sich die Massen verliefen. Da ich vorher viel Schlechtes gelesen hatte, sowohl in Erfahrungsberichten als auch (Online-)Zeitungen, war ich angenehm überrascht. Entweder hatte sich dieses Jahr alles massiv verbessert oder aber der Zeitpunkt war optimal gewählt gewesen, was ich an einem Samstagvormittag eher für unwahrscheinlich hielt.
Bezüglich der medizinischen Unterlagen sind die Mitarbeiter streng, da hilft auch kein diskutieren. Der daher notwendige Arztbesuch hatte mich zwar initial etwas geärgert, aber im Nachhinein fand ich die Idee gut. Ohne dieses Zertifikat hätte es wohl am nächsten Tag noch mehr Läufer gegeben, die Probleme gehabt hätten und zudem hatte mich das Zeugnis zu einer Leistungsdiagnostik gezwungen,
- die ich schon lange geplant, aber vor mir hergeschoben hatte
- die mir half, eine langsamere aber sinnvollere Pace für Paris zu akzeptieren
- die dazu führte, dass ich den Tipp mit Wobenzym Plus bekam
Wer es sportlicher mag, der kann am Samstag auch am offiziellen Frühstückslauf, für den man sich am besten vorher online anmeldet, teilnehmen und den Shake-Out-Run mit der Abholung der Startunterlagen für den Marathon verbinden. Quasi eine kleine Stadtbesichtigung über fünf Kilometer mit rund 7.000 anderen Läufern, bei der man sich mit musikalischer Begleitung vom Triumphbogen bis zum Eiffelturm warmläuft. Den Abschluss markiert das Frühstück am Sockel des Eiffelturms, bevor es dann entspannt zur Expo geht.
Ich verbrachte den restliche Tag auf recht klassische Art und Weise, indem ich die verbleibenden Stunden in Sightseeing investierte: Vom Eiffelturm, über die zufällig entdeckte Flamme der Freiheitsstaue, bis zum Bummel über die Avenue des Champs-Élysées. Gehört ja irgendwie auch dazu, auch wenn die Marathonstrecke eigentlich an allen Highlights vorbei führt.
Unterwegs meldete sich überraschend Triet, ein Laufkollege der Tide Runners, der ebenfalls am nächsten Tag starten würde und noch einen Mitläufer suchte. Perfekt, wir hatten die gleiche Zielzeit geplant… ich würde also nicht alleine laufen müssen.
Der Tag war inzwischen schon weit fortgeschritten, als ich über ein bekanntes Revuetheater stolperte. Für eine Abendvorstellung im Lido war am Samstag leider keine Zeit mehr, auch wenn das Programm vielversprechend gewesen wäre – zumindest wenn man den Plakaten glauben wollte. Stattdessen endete der Ausflug für mich am Triumphbogen, in dessen Nähe am nächsten Tag der Marathon starten würde und eine Portion Nudeln später lag ich im Bett.
Sonntag
Es war der Wettkampfmorgen um halb sechs und mir war nach jubeln zumute: Meine Beine fühlen sich gut an! Ich konnte sogar auf meiner Schienbeinkante rumdrücken und es tat nicht mehr weh. Ob es nun ein Placebo war oder ob die Tabletten wirklich geholfen hatten, kann ich nicht sagen. Aber ich war startklar!
Die Aufregung hatte mich nun fest im Griff, das geht wohl jedem vor einem wichtigen Lauf so. Ein letzter Blick auf die Wettervorhersage versprach für den Wettkampf 21° C fast ohne Wolken. Definitiv nicht mein Wetter; ich laufe gerne bei etwa 10 Grad, Wolken und vielleicht sogar etwas Nieselregen. Aufgeregt packte ich meinen Kleider-Beutel, futterte das spartanische Frühstück eines Langstreckenläufers und saß wenig später mit Lactat-Säure-Puffer in der Getränkeflasche im Zug. Erst dort entdeckte ich den Chip auf der Rückseite der Startnummer. Ich war ehrlich überrascht, aber ein kurzer Blick auf die Füße der anderen Läufer bestätigte es: Beim Paris-Marathon kam ein eigenes Messsystem zum Einsatz, den Marathon-Chip an meinem Laufschuh hätte ich mir sparen können.
Als ich einige Minuten später meinen Bestimmungsort erreichte, war es schon ein sehr seltsames Gefühl, so alleine an der leeren Strecke zu stehen.
Die gute Organisation beim Paris Marathon war auch bei der Beutelabgabe zu spüren, diese war nur 300 Meter von der Metrostation entfernt und es gab keinen Stau, um den Beutel loszuwerden. Genau dort musste ich bei den letzten Handgriffen feststellen, dass ich übereilt aus dem Apartment gestartet war und ärgerlicherweise (und ausgerechnet am Wettkampftag) nicht mehr auf meine eigene Checkliste geguckt hatte. Somit fehlten am Start: Vaseline, Sonnencreme und Sonnenbrille. So stand ich eine Stunde vor dem Start da und guckte dumm aus der Wäsche Mülltüte, die ich – festivalerprobt – als Windbreaker nutzte.
Obwohl der Schneider Electric Marathon de Paris, wie schon geschrieben, der größte europäische Marathon ist, fanden Tide Runner Triet und ich uns leicht auf dem Gelände. Sicherlich auch dank der entzerrenden Wirkung des „Starts in Wellen“, der von vielen belächeln oder kritisiert wurde. Hier muss man sich noch einmal die 57.000 gemeldeten Läufer vor Augen rufen und dass man dank der Wellen wusste, wann man am Start sein musste und man zusätzlich nicht gezwungen war, unnötig lange in der Starterzone warten. Da sollte sich Berlin mal eine Scheibe abschneiden; auch bei den Distanzen zwischen Beutelabgabe und Startzone.
Lediglich bei der Toilettensituation wäre noch Verbesserungspotential gewesen. Diese war für Männer „ok“, aber für Frauen wohl nicht. So ergab sich ein wirklich kurioses Bild, als sich mehrfach kleine Frauengruppen zum Sichtschutz für eine Laufkollegin beim Freiluft-Urinieren auf der Champs-Élysées aufstellten. Allerdings kenne ich auch kaum eine Toilette mit mehr Flair.
Offensichtlich hatten – trotz der guten Erreichbarkeit der Kleiderbeutelabgabe und der transparenten Startzeiten – einige Läufer wohl doch schlecht zeitlich geplant und so passierten wir auf den ersten Kilometern bereits zahlreiche Starter mit Jacken, Handschuhen und sogar Rucksacken. Erst im Nachhinein wurde mir bewusst, wie kurios dies eigentlich war. Eine Stadt in Terrorangst, die Läufer mit Rucksäcken auf die Strecke ließ.
Der Paris Marathon überraschte mich mit einer überraschend schnellen Strecke und trotz der entspannten Planung von 5:19 min pro Kilometer, hatte sich unsere Pace nach wenigen Kilometern auf etwa 5:10 eingependelt; es lief eigentlich ganz locker.
Die Strecke erwies sich als überraschend grün für einen Großstadtmarathon, denn rund 20 Kilometer der Strecke führten durch die beiden großen Parks von Paris: „Bois de Vincennes“ und „Bois de Boulogne“. Die Route selbst deckte zahlreiche Sehenswürdigkeiten ab und bis auf Montmartre fehlte mir eigentlich nichts. Dazwischen sorgten über >100 Bands für ordentlich Stimmung.
Das berüchtigte Kopfsteinpflaster des Paris Marathons empfand ich als weniger erschreckend… schließlich waren die Abschnitte immer nur ein paar hundert Meter lang und meistens von eher flacher Natur.
Zu schaffen machten mir immer mehr die Temperaturen. 21° C sollten es im Schatten sein, aber Schatten gab es nicht wirklich. So brannte die Sonne ungewohnt heiß herab, während der Asphalt von unten entgegenbrannte. Darauf war ich als Nordlicht nicht wirklich vorbereitet. Etwa ab Kilometer 20 stand dann auch verstärkt die Feuerwehr an der Strecke und sorgte mit C-Rohren für angenehme Abkühlung, die von den meistens Läufern auch dankend angenommen wurde.
An den Versorgungsstationen griff ich zudem jedes Mal nach zwei der 0,3 Liter Wasserflaschen, um mich mit einer innerlich und der anderen äußerlich zu kühlen. Mein Körper honorierte dies wiederholt mit einem um fünf Schläge sinkenden Puls, was jedoch nie lange anhielt. Leider gab es auf den ersten 20 Kilometern nur Wasser und Obst… Isotonische Getränke waren bis auf eine Station aber erst einmal Fehlanzeige.
Mit Kilometer 33 liefen wir in den bewaldeten Westen von Paris (Bois de Boulogne), in dem es nur noch wenige Zuschauer gab. Nun wurde es schwierig und die weiter steigenden Temperaturen forderten immer mehr Opfer. Noch nie hatte ich so viele Läufer zusammenbrechen, orientierungslos torkeln und am Rand liegen sehen. Unzählige, fleißige Sanitäter waren im Dienst und es kam alle paar hundert Meter zu einem Rettungswagen-Einsatz.
Triet und ich entschieden bei Kilometer 35 jeweils in eigener Pace weiterzulaufen. Zu sehr zehrte auch an uns die Hitze und wir beschlossen, mit unserem „Marathonschmerz“ alleine zurecht zu kommen. Das ist der Moment, auf den man sich so lange vorbereiten muss, auf den man trainiert, warum man Tage zuvor schon nervös und aufgeregt ist. Ein Marathon, das bedeutet sich 30-32 Kilometer einzulaufen, bevor „die zweite Hälfte“ beginnt. Wie sich diese an anfühlt, dass kann mit jedem Wettkampf und für jeden Läufer anders sein; das hängt von der Gesundheit, dem Training und von angeeigneter mentaler Härte ab. Ich merkte nun die fehlenden langen Läufe und begann den Kampf gegen Erschöpfung und meinen Kopf, der mich bremsen und stoppen wollte. Die „Comfort Zone“, meinen Wohlfühlbereich, hatte ich verlassen und nun galt es durchzuhalten.
Jeder Trainer hatte mir erzählt, dass sich hieran nichts ändern lässt oder es jemals anders wird, egal ob man seinen ersten Marathon läuft oder schon 20 absolviert hat.
Wenn du laufen willst, lauf eine Meile. Wenn du ein neues Leben kennenlernen willst, dann lauf Marathon.
Emil Zátopek
Irgendwo nach Kilometermarke 37 dann plötzlich ein Zucken in der linken Wade, das wie ein kurzer, aber schmerzhafter elektrischer Schlag den Muskel zusammenzog. Unangenehm, das kannte ich noch nicht. Zu diesem Zeitpunkt war mir noch nicht wirklich bewusst, dass es sich um die ersten Anzeichen eines aufkommenden Muskelkrampfs handelte. Keine 50 Meter traf es mich erneut und noch heftiger. Wieder und wieder traf es mich und aus einem sauberen Laufstil wurde ein schmerzhaftes Humpeln.
Direkt beim Überqueren des Messpunkts bei Kilometer 40 war dann alles vorbei, die Wade verkrampfte sich schmerzhaft für mehrere Minuten und beendete so meinen Lauf. Mühsam und vorsichtig konnte ich den Muskel wieder so weit aufdehnen, dass die wieder gehen konnte. Schließlich trennten mich nur 2,2 Kilometer vom Ziel.
So quälte ich mich durch den Park, während meine GPS-Uhr minütlich die Durchschnitts-Pace verschlechterte. Einen Kilometer vor dem Ziel begann sich die Umgebung zu ändern und plötzlich trat ich wieder aus dem Park heraus und war von einer Sekunde auf die andere von jubelnden Menschenmassen umringt, die mich und die anderen Läufer anfeuerten. Zu gerne wäre ich noch ein letztes Mal losgelaufen, als ich meinen Namen so häufig hörte und in die strahlenden und motivierenden Gesichter guckte; aber jeder Versuch wurde sofort von meiner Wade unterbunden, ein Laufen war nicht mehr möglich. Schlussendlich lief ich nach 4:05 Stunden ins Ziel.
Alles andere als Bestzeit. Eine Lektion! Bei den warmen Temperaturen muss ich es langsamer angehen und ich darf nicht nur Wasser und Glucose-Gels konsumieren, sondern muss auch Elektrolyte durch isotonische Getränke zu mir nehmen.
Trotzdem war ich ein wenig stolz, ein weiterer Marathon geschafft zu haben, auch unter – oder gerade wegen – den erschwerten Bedingungen.
Hinter der Ziellinie gab es zu der Medaille direkt einen Plastik-Poncho, ein Finisher-Shirt und Verpflegung mit verschiedenen Getränken und Obst, das mir schon lange nicht mehr so gut geschmeckt hatte.
Völlig erschöpft schleppte ich mich zur Kleiderbeutelausgabe und schlüpfte endlich in unverschwitzte Kleidung, wobei ich einen ordentlichen Sonnenbrand entdeckte.
Kurz vor dem Ausgang stolperte ich ganz überraschend noch über die restlichen Tide Runners, die inzwischen ebenfalls das Ziel erreicht hatten.
Ergebnis
In Paris konnte 2016 auch die Elite keine Streckenrekorde aufstellen und blieben deutlich hinter den Zeiten der Vorjahressieger.
Bei den Frauen holte sich Visiline Jepkesho (KEN) in 2:25:52 den ersten Platz, bei den Männern Cyprian Kotut (KEN) in 2:07:11.
Ich schaffte statt der angestrebten 3:45h immerhin noch einen Zieleinlauf den langsamen Gang über die Ziellinie, allerdings erst nach 4:05h. Ich kann nicht einmal sagen, dass ich wirklich enttäuscht war. Ich war einfach nur kaputt und erschlagen… und sogar etwas stolz.
Laut Veranstalter sollen übrigens rund 11.000 gemeldete Läufer erst gar nicht gestartet sein, man vermutet aus Angst vor einem Anschlag. Über 5.000 Läufer hatten den Lauf abbrechen müssen.
Die Ausrüstung
- GPS-Pulsuhr: GARMIN fenix3 Saphir HR – Endlich laufen ohne Pulsgurt und die Ablesbarkeit bei der Sonne ist unglaublich gut.
- Laufschuh: Mizuno Wave Prophecy 4 – Quasi das absolute Gegenteil zu einem Minimalschuh. Diesen habe ich gewählt, da ich keinen Schuh kenne, der mehr Dämpfung für Fersenläufer bietet.
- Laufsocken: CEP Ultralight Run Socks – Kompressionssocken stützen und entlasten das Bindegewebe und die Muskulatur. Eine sinnvolle Maßnahme bei meinen Shin Splints.
- Laufshorts: Ultrasport-Laufhose kurz – Viel Bewegungsfreiheit, schnelltrocknend und geringes Gewicht.
- Laufshirt: Under Armour Compression Sleeveless – Kompressionsbekleidung mit voller Bewegungsfreiheit und UV-Schutz.
- Meine Sportsonnenbrille hatte ich leider vergessen.
Fazit
Ich hatte vorher viel über den Marathon in Paris gelesen und viele der negativen Kritikpunkte konnte ich nicht nachvollziehen. Weder gab es ewige Schlangen bei der Messe, noch wurde man beim Start des Marathons ausgebremst und auch das Kopfstein-Pflaster ist definitiv erträglich, denn es kommt nur auf übersichtlich kurzen Teilen zum Einsatz.
Lediglich der Bois de Boulogne mit seiner Abgeschiedenheit zieht sich wirklich und der Mangel an Zuschauern dort ist schade, denn gerade zum Ende des Wettkampfs könnte man die Unterstützung gut brauchen.
Paris hat mich definitiv nicht zum letzten Mal gesehen, auch weil ich die Schmach von diesem Jahr wieder wettmachen will. Im Bösen trennen wir uns trotzdem nicht! Wenn ich darüber nachdenke, wäre Paris sogar flach genug für eine zukünftige Bestzeit von mir, auch wenn die Tunnel für ein gewisses auf-und-ab sorgen. Vielleicht melde ich mich die Tage ja schon wieder an.
Rahmendaten
- Streckenverlauf:
– Avenue des Champs-Élysées
– Place de la Concorde
– Place de la Bastille
– Place de la Nation
– Boulevard périphérique
– Avenue Daumesnil
– Bois de Vincennes
– Porte de Charenton
– rechtes Seine-Ufer stromabwärts
– Île de la Cité
– Tuilerien
– Eiffelturm
– Place du Trocadéro
– Bois de Boulogne
– Avenue Foch - 57.000 angemeldete Starter
40.172 Finisher - >40% der Starter aus dem Ausland
- ~35% der Starter liefen ihren ersten Marathon
- 3.000 freiwillige Helfer
- 250.000 Zuschauer
- Medaille: ja
- Urkunde: ja
- Umkleiden: nein
- Kleiderbeutelabgabe: ja
- Gebühr: 1. Phase €80 (Ausverkauft binnen 60 Minuten),
2. Phase €99,
3. Phase €115 (ab September) - Zeitmessung: Chip auf Startnummer
- Besonderheit: medizinisches Zeugnis notwendig; rechtzeitig anmelden, da maximale Teilnehmerzahlen schnell erreicht werden
Bewertung
(max. 5 Punkte): | |
Organisation: | ????? |
Spaßfaktor: | ????? |
Schwierigkeit: relativ flach, aber zuschauerarm | ????? |
Strecke: die ultimative Stadtbesichtigung, aber die Parks ziehen sich | ????? |
Verpflegung: kaum Gels, Isotonisches zu spät | ????? |
Publikum: Sehr motiviert, aber nicht mit Berlin vergleichbar | ????? |
Gesamturteil: | ????? |
Impressionen
Wer noch in die Stimmung des Marathons eintauchen will, der findet tolle Fotos im offiziellen Album vom 40. Schneider Electric Marathon de Paris auf Facebook.
4 Kommentare
Danke für den tollen Beitrag.
Du hast ja Glück, dass Du erst bei km 37 deinen Krämpfe hattest. Bei meinem ersten Marathon ( Frankfurt 2015) hatte ich ab km 16 Krämpfe 🙁 Habe auch nicht aufgegeben, aber die Zeit war auch nicht prickelnd.
Grüße
Liana
Wow, das hätte ich wohl nicht durchgehalten! Gratuliere, dass Du es durchgezogen hast!
Viele Grüße
Julian
Ein medizinisches Zeugnis zur Marathontauglichkeit? Das ist doch ein ungeheurer Verwaltungsaufwand für alle beteiligten..
Und überraschenderweise auch gar nicht so einfach zu bekommen. Ich habe einige Ärzte abklappern müssen, bis ich endlich eines ausgestellt bekommen habe.