Oberflächlich, körperfixiert und krankhaft egoistisch sollen Sportler sein… Die Kommentarspalte einer Tageszeitung ließ die Tage kein gutes Haar an Hobbyathleten und kritisierte vor allem Freizeitläufer, die am Wochenende die Wege in Parks und an den Seen bevölkerten, und Radfahrer, die den Autos die Straße wegnehmen würden.
Ich überspringe hier mal die bornierte Ansicht, dass Straßen primär den Autos dienen sollten oder dass man sich in Erholungsgebieten nur mit Schrittgeschwindigkeit bewegen sollte… Es kostet mich außerdem einiges an Beherrschung, den Autor nicht darauf zu reduzieren, dass er offensichtlich Sport nur aus dem Fernsehen kennt und vermutlich alle Distanzen ab 500 Metern nur noch mit dem Auto überwindet. Mich stört vor allem, dass es schlecht und oberflächlich sein soll, wenn man auf seinen Körper achtet. Und was ist eigentlich schlecht an einem gesunden Egoismus?
Nur wer erst einmal an sich selbst denkt…
Ein paar Wochen ist es her, dass ich erneut in einem Ersthelfer-Auffrischungskurs saß. Dabei wurde nicht nur daran erinnert, dass Erste Hilfe Bürgerpflicht ist, wenn eine Person in Not gerät oder hilflos ist. Es wurde außerdem geradezu stoisch ermahnt, dass der Selbstschutz (Eigenschutz) des Ersthelfers dabei die höchste Priorität hat!
Scheinbar stehen diese Aspekte im Konflikt?! Und ist es nicht egoistisch, an mich zu denken, wenn andere in Gefahr sind? Ja… und nein, denn als Helfer kann ich nicht mehr (gute) Erste Hilfe leisten, wenn ich selbst verletzt werde. Wenn ich nicht auf mich achte, werde ich selbst zum Risiko und muss vielleicht selbst anschließend gerettet werden. Statt sich ums ursprüngliche Opfer zu kümmern, muss der Notarzt dann vielleicht erst einmal seine Zeit in mich investieren. Niemandem ist damit geholfen.
„Im unwahrscheinlichen Fall eines Druckverlusts fallen automatisch Sauerstoffmasken aus der Kabinendecke. Ziehen Sie ihre Maske herunter, ganz zu sich heran und drücken Sie sie fest auf Mund und Nase. Atmen Sie normal weiter. Helfen Sie danach Kindern und hilfsbedürftigen Menschen.“
Erneut die gleiche Aussage: Denk erst einmal an dich. Aber sollte man sich nicht erstmal um andere kümmern? Auch diese vermeintlich egoistische Handlung dient dem allgemeinen Wohl. Wer in einer solchen Situation zuerst an andere denkt, hilft im Zweifelsfall niemandem. Denn in der Reisehöhe eines Passagierflugzeugs sorgen Druckverlust und Sauerstoffmangel bei einer Dekompression binnen Sekunden für Übelkeit und starke Kopfschmerzen. Ohne den rettenden, fast reinen Sauerstoffs aus der Maske, dauert es je nach körperlicher Verfassung gerade einmal 7-18 Sekunden, bis Bewegungen nur noch eingeschränkt möglich sind oder die Bewusstlosigkeit folgt. Abhängig von der Flughöhe bleiben gerade einmal zwei Minuten, bevor mit lebensgefährlichen Auswirkungen zu rechnen ist.
Wer sich hingegen die Maske greift und erst übers eigene Gesicht zieht, kämpft zwar noch mit dem Druckverlust… aber bleibt bei Bewusstsein, handlungsfähig und kann helfen.
… fällt anderen nicht zur Last!
Manchmal ist es wichtig, ja sogar überlebenswichtig, sich erst einmal um sich selbst zu kümmern; auch für die Menschen im eigenen Umfeld. Wer zuerst einmal auf sich und die eigene Gesundheit achtet, kann sich anschließend auch um andere kümmern. Warum aber sollte Egoismus nur in Ausnahmefällen akzeptabel sein?
Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht.
Wer immer die Interessen der anderen vor seine eigenen stellt, der bleibt schlussendlich auf der Strecke. Und gibt – bewusst oder unbewusst – den anderen die Schuld für die resultierende Unzufriedenheit… worunter wiederum Familie, Freunde, Partner oder Kollegen leiden müssen. Wer immer nur zurücksteckt, der blickt irgendwann unzufrieden zurück und schlittert in eine Midlife-Crisis. Wer nicht manchmal egoistisch ist, wird schlimmstenfalls irgendwann selbst zum Pflegefall.
Es ist gesellschaftliche Indoktrination gegen die Evolution, stets selbstlos zu sein. Dabei ist ein gewisser Egoismus gesund!
Es geht gar nicht darum, meine eigenen Interessen in jeder Situation über die der anderen zu stellen. Es geht darum, im Leben nicht zu kurz zu kommen und auf mich zu achten. Es geht darum, meine eigenen Bedürfnisse zu kennen, sie wertzuschätzen und ihnen ausreichend Raum und Priorität einzuräumen. Es geht darum, dass es mir gut geht, damit ich auch für andere da sein und ihnen helfen kann. Es geht darum, mich selbst aufzurichten, damit ich andere stützen kann.
Ja, Sport ist egoistisch. NA UND?
Ich habe einmal gehört, dass Sport der G-Punkt des leistungsorientierten Egoisten sei. Ein interessantes Bild, in dem auch ein Fünkchen Wahrheit stecken mag.
Wer am Sonntag die Laufschuhe anzieht, der ist ICH-bezogen. Wer im Ziel seine Medaille stolz entgegen nimmt und vielleicht sogar ein Foto mit ihr postet, der feiert nur sich selbst. Wer trotz Familie zum Lauftreff geht, nimmt sich exklusive ICH-Zeit. Aber daran ist nichts falsch! Und wer hiergegen Kritik übt, gehört nicht selten zu den Menschen, die einen solchen Antrieb nicht verstehen. Menschen, denen es fremd ist, sich für einen gesunden und leistungsfähigeren Körper zu quälen. Menschen, denen es mitunter zuwider ist, dass Hobbysportler zufriedener durchs Leben gehen und dass ihnen Erfolge scheinbar leichter fallen.
Es sind schnelllebige Zeiten, in denen Wertesysteme immer wieder neu erfunden werden. Unsere Gesellschaft ist leistungsorientiert und die Unzufriedenheit steigt stetig an. Doch Training verbessert nicht nur die Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit, sondern stärkt auch das Selbstbild und das Selbstwertgefühl. Ob es daran liegt, dass man sich Herausforderungen stellt und diese überwindet, oder ob es an der Ausschüttung von Endocannabinoiden, Endorphinen oder Serotonin liegt, darüber mögen Wissenschaftler noch streiten… Fakt ist, dass Sport natürliche Medizin ist. So wirksam, dass Bewegung und körperliche Anstrengung von Therapeuten selbst bei Depressionen verordnet werden, da sie mitunter die gleiche Potenz wie Antidepressiva zeigen. Wer Sport betreibt, ist glücklicher!
Mir geht es gar nicht um ein philosophisch/theologisches Bild, das propagiert, dass der Körper ein Tempel sei. Es geht mir um einen gesunden Umgang mit dem eigenen Körper. Und der verlangt nach einer physischen Belastung, die ihm die moderne Arbeitswelt nicht mehr liefern kann, in der muskuläre Leistung immer stärker durch geistige Leistung abgelöst wird. Fehlende Bewegung gepaart mit mentaler Überlastung gilt heute als eine der Hauptursachen für Burn-out, chronische Erschöpfung und weitere Zivilisationskrankheiten. Regelmäßiger Sport – egal ob Laufen, Radfahren, Schwimmen, Crossfit oder Yoga – wirkt präventiv gegen zuvor genannte Beschwerden, beugt Rückenleiden, Gelenkverschleiß und Diabetes vor, fördert das Herz-Kreislaufsystem und stärkt die Psyche.
Also lass die Kritiker mäkeln und überhöre geflissentlich Kommentare wie: „Du läufst doch nur vor deinen Problemen weg!“ Nimm dir Zeit für dich und sorge dafür, dass es auch dir gut geht. Ich verwende den Begriff „Achtsamkeit“ nur sehr vorsichtig, da hier viel Esoterik mitschwingt. Aber in der westlichen Medizin und Psychologie steht dieser Begriff für Stressreduktion/-bewältigung, Selbstakzeptanz, kritiklose Selbstbeobachtung und einen gesunden und proaktiven Umgang mit der eigenen Psyche und dem Körper. Also sei achtsam mit dir. Und sei verflucht noch einmal stolz auf dich, setz dir neue Ziele und denk auch einmal an dich!
2 Kommentare
Stimmer dir voll zu, mir jedenfalls tut das Laufen unglaublich gut. Gehe ich beispielsweise in der Mittagspause laufen, so bin ich am Nachmittag bei der Arbeit im Kopf definitiv fitter. Und nur wer mit sich selbst zufrieden ist, kann mit anderen glücklich werden.
Sportliche Grüsse, Stefan
[…] Du Dich mehr mit Dir selbst beschäftigen? Auf Laufmotivation erfährst Du, warum Du deshalb kein schlechtes Gewissen haben musst. Pinkfisch stellt Dir Morning […]