„Laufsüchtig? Du spinnst wohl!“ Sucht ist nichts für mich. Ich habe dieses Jahr sogar mit dem Rauchen aufgehört, da werde ich doch nicht in eine neue Abhängigkeit wechseln. Mache ich nicht, schließlich will ich frei von Zwängen sein.
Und doch… wenn man den gleiche Vorwurf von zwei Freundinnen unabhängig binnen zwei Wochen hört, dann macht man sich Gedanken. Insbesondere, wenn man von einer der beiden als „schlechten Umgang“ bezeichnet wird. Trotzdem bin ich nicht süchtig.
Allerdings streiten Süchtige doch fast alle ab, süchtig zu sein?!
Es gibt keine Laufsucht. Strenggenommen…
Sicherlich hat jeder seine eigene Vorstellung davon, was Sucht ist. Um möglich objektiv zu bleiben, halte ich mich an eine allgemeine Definition. Laut der World Health Organization (WHO) verstehen wir unter „Sucht“:
Repeated use of a psychoactive substance or substances, to the extent that the user (referred to as an addict) is periodically or chronically intoxicated, shows a compulsion to take the preferred substance (or substances), has great difficulty in voluntarily ceasing or modifying substance use, and exhibits determination to obtain psychoactive substances by almost any means. Typically, tolerance is prominent and a withdrawal syndrome frequently occurs when substance use is interrupted. The life of the addict may be dominated by substance use to the virtual exclusion of all other activities and responsibilities.[…]
Quelle: http://www.who.int/substance_abuse/terminology/who_lexicon/en/
Sucht tritt also durch den Einsatz von Substanzen auf, die zu einer periodischen oder chronischen Vergiftung führen und führt bei dem Abhängigen zu dem Zwangsverhalten, die verursachende Substanz weiterhin zu konsumieren. Es treten nach der Gewöhnung typischerweise Toleranzerhöhungen und Entzugserscheinungen (bei Konsumunterbrechung) auf. Der Süchtige ist zudem bereit, große Entbehrungen auf sich zu nehmen, um die Beschaffung und Einnahme aufrecht zu erhalten.
Puh, Glück gehabt. Ich bin nicht laufsüchtig, da es nach Definition keine Laufsucht gibt. PUNKT. Substanzen nehme ich schließlich keine; außer mal rechtsdrehende Alpha-Liponsäure.
… im weiteren Sinne aber…
Wenn es da nicht die umgangssprachlichen Süchte gäbe, wie die Spielsucht. Also ein zwanghaftes Verhalten, dass nicht bedingt durch den Umgang mit Drogen auftritt; eben pathogenes Verhalten. Unter dem Begriff „Störung der Impulskontrolle“ finden sich weitere Gewohnheiten, die beim Betroffenen ein „mit einer Sucht vergleichbares Verhalten“ auslösen.
Ok, nun wird es schwierig. Bin ich doch süchtig?
Der Test – Zeit sich der Wahrheit zu stellen
Nehmen wir doch einmal die Kriterien, die die WHO ansetzt und bauen daraus einen Fragenkatalog.
- Willst Du häufig laufen und würdest Du von dir aus nicht freiwillig damit aufhören?
- Nimmst Du Entbehrungen in Kauf, um Laufen gehen zu können?
- Hast Du die Dosis, also die Anzahl deiner Laufeinheiten oder die Distanzen, die Du läufst, erhöht?
- Hast Du Entzugserscheinungen, wenn Du nicht läufst?
- Führt deine Laufgewohnheit dazu, dass Du dich von anderen abgrenzt?
- Schädigst Du mit deinem Laufen dich und/oder andere?
Bevor Du zu schnell weiterliest, nimm dir die Zeit und stelle dich ernsthaft und ehrlich den Fragen und beantworte sie für dich. Schließlich hast Du bis hier gelesen, da hast Du auch noch ein paar Sekunden länger!
Fertig? Dann hier die Auswertung.
Kurzfassung:
- Frage 1-3 mit „ja“: Glückwunsch, Du bist ein Läufer. Dein Verhalten ist bis hier hin ganz normal.
- Frage 4, 5 und/oder 6 mit „ja“: Du hast ein Problem!
Langfassung:
Die Kriterien der WHO auf so ein Thema zu übertragen ist schwierig. Schließlich würden die ersten zwei Kriterien auch auf alle Grundbedürfnisse nach Maslow zutreffen. Aber versuchen wir es trotzdem.
- Frage: Wenn es ein echter Zwang wäre, dann wäre es schlecht. Zwang ist ein Druck „etwas gegen seinen Willen zu tun“ oder ein „unkontrollierbares, starkes inneres Verlangen“. Also kein „Laufen wollen“ sondern ein „Laufen müssen“. Willst Du aber laufen und dich bewegen, dann ist daran nichts schlechtes!
- Frage: Selbst eine unschuldige Handlung wie „Essen“, „Trinken“ oder „Zähneputzen“ würde man hier bejahen, denn man unterbricht vielleicht eine andere, schönere Handlung dafür. Auch der Verzicht auf das kuschelige Sofa, sonntags früher für einen Wettkampf aufstehen oder ein Lauf mit knurrendem Magen stellt nun mal eine Entbehrung dar.
- Frage: Wenn man seine Grenzen kennt, ist völlig normal, sich selbst herauszufordern. Jeder Laufanfänger erlangt binnen kürzester Zeit einen Konditionsanstieg, der nun mal in einer höheren Leistungsfähigkeit resultiert. Grenzen sind beispielsweise dort gegeben, wo die Gesundheit oder das soziale Umfeld leidet (siehe Frage 5 + 6).
- Frage: Zitterst Du nach 48 Stunden Sportpause? Kaust Du an deinen Fingernägeln, wenn Du auf Grund von Fieber nicht laufen darfst? Verlierst Du die Beherrschung, wenn ein überzogenes Meeting verhindert, dass Du deine Runde laufen kannst? Bei einem „ja“ auf diese Frage liegt vermutlich eine zwanghafte Störung vor und Du solltest dich mal mit einem Arzt unterhalten.
- Frage: Deine Familie kennt dich nicht mehr, Du triffst deine Freunde nicht mehr oder dein Partner/deine Partnerin hat sich von dir getrennt, weil Du keine Zeit hast und dich eh nur über das Laufen unterhalten willst? Hinterfrage dein Verhalten gründlich, das klingt für mich auf jeden Fall zwanghaft.
- Frage: Laufen trotz Schmerzen, vernachlässigen von Aufgaben oder soziale Entfremdung. Alles Beispiele, wie sich ein zwanghaftes Verhalten äußern würde.
Fazit
Als ich den Artikel im Kopf hatte, stand gedanklich der Schluss schon fest. Eigentlich wollte ich hier schreiben: „Und so bekenne ich hier: Hallo, mein Name ist Julian und ich bin laufsüchtig! Zumindest ein bisschen.“
Aber irgendwie ist der Text ernster geworden, als ich es wollte. Und so passt es nicht mehr hierher. Sicher auch, weil es ein ernstes Thema ist.
Ich kann für mich guten Gewissens sagen, dass ich aus Spaß am Sport handle und nicht aus Zwang.
Wie sieht es mit euch aus?