Es passiert in der Vorbereitungsphase oder im Wettkampf. Ein scharfer, schneidender Schmerz am Schienbein, der so unerträglich ist, dass mitten im Lauf an ein Weitermachen nicht mehr zu denken ist oder – noch schlimmer – das Laufen für lange Zeit an den Nagel gehängt werden muss. Wer noch nicht betroffen war, der kennt fast immer jemanden, der schon einmal betroffen war: Das Schienbeinkantensyndrom, umgangssprachlich auch als „Shin Splints“ bezeichnet, ist ein häufig auftretendes Überlastungssyndrom bei Läufern. Laut medizinischen Erhebungen sind fast 20% aller verletzungsbedingten Trainings-Ausfälle von Läufern auf das Schienbeinkantensyndrom zurückzuführen.
Ursachen des Schienbeinkantensyndroms
Das schmerzhafte Schienbeinkantensyndrom gilt als Kinderkrankheit der Läufer, da insbesondere Laufanfänger betroffen sind, deren Lauftechnik noch nicht „rund“ ist oder die ihr Trainingspensum zu schnell steigern.
In der Sportmedizin wird der Begriff Schienbeinkantensyndrom für eine Krankheit mit zwei unterschiedlichen Ursachen verwendet:
- Eine Überbeanspruchung der Beinmuskulatur
- Eine Entzündung oder Verletzung der Beinmuskulatur
Überbeanspruchung
Die Überbeanspruchung trifft nicht nur Läufer, auch wer Squash, Fußball, Tennis oder Basketball spielt, ist häufig betroffen. Ursache ist bei untrainierten Sportlern die Belastung durch schnelle Richtungswechsel, bei trainierten sind es hingegen neue Schuhe, drastische Zunahme der Trainingsumfänge oder Gewichtszunahme. Die charakteristischen Schmerzen treten meist schon am Folgetag des Trainingsimpulses auf und werden durch weitere Trainingsversuche intensiviert. Durch Ruhe und Behandlung sind Überlastungsprobleme schnell zu beheben.
Entzündung
Zu einer Entzündung im kommt es primär durch „falsches“, hartes Auftreten beim Fersenlauf (ggf. in Kombination mit gering gedämpften Schuhen). Durch die resultierende, schnelle Abrollbewegung müssen die Muskeln im Schienbeinbereich das Körpergewicht komplett auffangen, werden intensiv belastet und gereizt. Durch zahlreiche Wiederholungen leiden die Sehnenansätze der Muskeln, die am Schienbein ansetzen; es kommt zur Knochenhautentzündungen. Davon betroffen sind primär der hintere Schienbeinmuskel (Musculus Tibialis posterior) und der Schollenmuskel (Musculus Soleus). Versagt der Musculus Tibialis posterior durch Überbeanspruchung, kann es zu einer Plattfußbildung und in besonders schweren Fällen zu einer Fraktur kommen.
Die gute Nachricht: Shin Splints heilen fast immer von selbst ab! Die schlechte Nachricht: Wenn man nicht nachhilft, kann eine Genesung im Falle einer Entzündung wochenlang dauern. 😥
Behandlung des akuten Schienbeinkantensyndroms
Wenn Du plötzlich akute Beschwerden hast, die zu einem schmerzhaften Schienbeinkantensyndrom passen würden, empfiehlt sich ein Besuch beim Sportmediziner oder Orthopäden. Dieser prüft mindestens auf den druckschmerzhaften Punkt an der inneren bzw. vorderen Schienbeinkante, kann aber mittels MRT auch eine fundierte Diagnose stellen und – das ist wichtig – eine Stressfraktur ausschließen. Die Untersuchung kann genutzt werden, um eventuell vorhandene Fußfehlstellungen aufzudecken. Liegen lauftechnische Fehler vor, ist jedoch eine ausführliche medizinische Bewegungsanalyse notwendig (die separat erfolgt).
Du selbst solltest dir erst einmal eine Laufpause von 1-2 Wochen gönnen und auf eine Ausgleichssportart wie Schwimmen oder Fahrradfahren ausweichen. Helfen können außerdem die folgenden Punkte:
- Nicht-steroidale Entzündungshemmer wie Ibuprofen (oral) oder Diclofenac
(Salbe) lindern die Schmerzen und reduzieren die Entzündung. Eine Anwendung sollte zeitlich begrenzt erfolgen, da missbräuchlich lange Nutzung u.a. die Nieren belastet.
- Abreiben mit Eis (2-3x am Tag für 10 Minuten) lindert die Schmerzen, beseitigt schnell Schwellungen und wirkt sich positiv auf den Heilungsprozess aus.
- Triggerpunktbehandlung der überlasteten Sehnenansätze durch einen Kinesiologen / Physiotherapeuten oder in der Eigentherapie mit der Faszienrolle
.
- Enzymkombinationspräparate wie Wobenzym Plus
beschleunigen die Heilung entzündlicher Verletzungen. Im Gegensatz zu Entzündungshemmern unterdrücken Enzyme die Entzündung nicht, sondern beeinflussen den Verlauf. Dabei werden die Botenstoffe, welche die Entzündung fördern, abgefangen und so die Entzündung auf ein normales Maß reduziert.
- Quarkwickel sind ein bewährtes Hausmittel, das bei Entzündungen – aber auch anderen Verletzungen (Verstauchungen, Sonnenbrand, Insektenstiche uvm.) – eingesetzt werden kann. Sie sind schmerzlindernd, kühlend, reduzieren Schwellungen und sind entzündungshemmend.
Zur Herstellung eines Wickels wird Magerquark etwa einen halben Zentimeter dick auf ein Küchentuch aufgetragen. Das Tuch wird so umgeschlagen, dass der Quark sich anschließend im Inneren befindet. Das Paket wird anschließend auf den entzündeten Muskelansatz gelegt und verbleibt dort für 15-20 Minuten bis die kühlende Wirkung nachlässt; bei starken Entzündungen kann ein neuer Wickel angesetzt und die Behandlung beliebig häufig wiederholt werden. Solange die Entzündung anhält, sind Anwendungen mindestens einmal am Tag empfohlen.
Der Wiedereinstieg sollte mit reduziertem Trainingsumfangs erfolgen und beim Laufen sollten Dämpfungsschuhe zum Einsatz kommen. Ich habe sehr gute Erfahrungen mit dem Mizuno Wave Rider und dem ASICS GT-2000
gemacht.
Woran erkennst Du, dass dein Schienbeinkantensyndrom vollständig abgeheilt ist?
Wenn Du dir nicht sicher bist, ob dein Schienbeinkantensyndrom vollständig abgeheilt ist, kannst Du die folgende Checkliste verwenden:
- Du kannst wieder Laufen, Sprinten, Treppensteigen und Springen, ohne dabei Schmerzen zu haben.
- Dein verletztes Bein ist wieder so stark und flexibel wie das andere Bein.
- Alle Rötungen, Schwellungen und Druckschmerzen sind verschwunden.
- Das MRT zeigt keine Auffälligkeiten mehr.
Kannst Du alle Fragen mit „ja“ beantworten (die letzte ist optional), dann ist wieder alles ok. Um ein erneutes Auftreten zu verhindern, solltest Du dich aber an die folgenden Maßnahmen halten.
Maßnahmen zum Vorbeugen des Schienbeinkantensyndroms
Jeder Mensch kann laufen! Allerdings nicht jeder gut… Wer sich das Ziel setzt, ernsthaft zu laufen und nicht nur zu joggen, der sollte einen Laufkurs besuchen, um einen optimalen Laufstil zu erlernen. Insbesondere das Erlernen des Vorder- und Mittelfußlaufens führt zu einer drastischen Entlastung der Schienbeinmuskulatur. Zusätzlich werden durch das Training der Wadenmuskulatur muskuläre Dysbalancen abgebaut.
Wer zudem unter einer Fußfehlstellung (Überpronation/ Supination) „leidet“, der sollte jeden Schuh nur nach ausführlicher Beratung kaufen, da das Wegknicken sonst eine massive Belastung der Schienbeinkante führt; generell sollte ein Laufschuh immer aus dem Laufschuhfachgeschäft kommen!
Die folgenden 11 Tipps helfen außerdem beim Vorbeugen:
- In der Ruhe liegt die Kraft – Ruhetage sind Training! Ist ein nerviger Spruch, aber er ist wahr. Während der Ruhetage baute der Körper ungestört Muskulatur auf und kann verstärkt Reparaturen an geschädigtem Gewebe vornehmen. Also halte die Ruhetage ein!
Wenn Du nicht auf Sport verzichten willst, dann nutze an Ruhetagen eine Sportart, die die Beine nicht so stark belastet – Schwimmen zum Beispiel. - Sei ein Langschläfer – Endlich eine gute Nachricht für Langschläfer: Wer lange schläft, ist seltener verletzt. Das gilt auch für das Schienbeinkantensyndrom. Nächtliche Ruhezeiten nutzt der Körper für kleinere Reparaturarbeiten, wodurch einer Verschlimmerung und damit einer ernsthaften Verletzung vorgebeugt wird.
- Laufstil optimieren – Bist Du (auch) ein Fersenläufer? Dann läufst Du wirklich ökonomisch, denn Fersenlaufen braucht über 50% weniger Energie als Ballenlaufen. Allerdings gilt dieser Laufstil, den 3/4 aller Läufer nutzen, auch heute noch als orthopädisch belastender für den passiven Bewegungsapparat. Bei der Landung kann die kinetische Energie nicht durch die Wadenmuskeln abgefedert werden, sondern wird auf das durchgestreckte Bein übertragen und muss von der Schienbeinmuskulatur abgefangen werden.
Solltest Du Probleme mit dem Schienbeinkantensyndrom haben, dann hilft die Umstellung auf das Mittelfußlaufen. - Dehnen nicht vergessen – Nimm dir genug Zeit, um dich ausreichend zu dehnen; auch an Tagen an denen Du nicht läufst. Insbesondere Dehnübungen für das untere Bein im Bereich der Waden sind essentiell.
- Kenne dein Limit – Der Körper adaptiert sich an die Belastung, aber dafür braucht er Zeit. Während Muskeln schnell wachsen, braucht der passive Bewegungsapparat wesentlich länger (rund ein Jahr dauert es, bis sich Sehnen, Gelenke und Knochen anpassen können). Deshalb sollte der Trainingsumfang nur um 10% pro Woche erhöht werden.
- Stärkung der unteren Beinmuskulatur – Häufig führt eine Dysbalance der unteren Beinmuskulatur (zu schnelles Wachstum der Wadenmuskulatur) zum Schienbeinkantensyndrom. Neben einem Lauftechniktraining, das durch verschiedene Übungen den Muskelaufbau fördert, helfen gezielte Kräftigungsübungen: Setze dich auf einen Stuhl, so dass deine Beine baumeln können. Nun klemme ein Gewicht (z.B. eine 1kg Hantel) zwischen deine Füße und hebe die Beine bis sie gestreckt sind. Wiederhole die Übung täglich 15mal am Stück.
- Ice Bucket Challenge – Eis hilft! Auch wenn Du dir in diesem Fall kein eiskaltes Wasser über den Kopf gießen solltest. Aber ein Eimer mit Eiswasser für deine Beine ist genau das richtig nach einem harten Lauf, selbst wenn die heiße Wanne verlockender klingt.
Alternativ, aber auch nicht viel angenehmer, ist das zehnminütige Abreiben mit Eiswürfeln am Sehnenansatz möglich. Dabei solltest Du deine Finger gegen Erfrierungen schützen. - They see me rollin‘ – Faszienrollen, wie die bekannte Blackroll
, sind wohl die beste Vorbeugung gegen das Schienbeinkantensyndrom. Sobald Du leichte Schmerzen spürst, kannst Du mit einer Faszienrolle dagegen arbeiten – allerdings ist das nicht gerade angenehm.
- Cross-Training – Schwimmen, Core-Training, Kraftsport, Yoga oder Fahrrad fahren… Alternative Sportarten ändern die Belastung des Körpers, sprechen andere Muskeln an und – im Falle der genannten Sportarten – sorgen für eine Stärkung der Rumpfmuskulatur. Das verhilft dir zu mehr Flexibilität und einer besseren Körperhaltung bei langen Läufen.
- Es geht aufwärts – Wer bergab läuft, der ist häufiger von Shin Splints betroffen, denn dies erhöht den Druck auf den Schienbeinknochen. Wer jedoch Steigungen bergauf läuft, der reduziert die Belastung drastisch, da nun die Wade stärker gefordert wird (während die Schienbeinmuskulatur nicht mehr so viel Gewicht auffangen muss). Da bei einem klassischen Rundkurs aber gilt What goes up must come down, bietet sich ein Training auf dem Laufband an; bereits eine Steigung von 1% hilft schon, das Schienbeinkantensyndrom in seine Schranken zu weisen.
- Vorsichtig in Outdoor-Läufe starten – Ein kalter Winter und ein nasser Frühling haben viele Läufer auf das Laufband getrieben. Jetzt, da das Wetter endlich zu Läufen im Freien lockt, sollte man nicht in die Versuchung kommen, sein Tempo vom Laufband auf den Asphalt zu übertragen. Unebenes Terrain, plötzliche Steigungen, Windwiderstand und die fehlende Dämpfung des Laufbands erschweren einen Lauf drastisch. Wer nun zu schnell und zu weit in der neuen Umgebung läuft, der riskiert nicht nur ein Schienbeinkantensyndrom sondern auch andere Verletzungen.
Solltest Du gerade am Schienbeinkantensyndrom leiden, dann wünsche ich dir gute Besserung. Wenn Du selbst noch Tipps hast, die dir geholfen haben, dann freue ich mich über deinen Kommentar!